Mittwoch, 29. September 2010

SHORT:STORY I

"Guten Morgen, treue Hörer! Es ist genau zwei nach sechs... ", ertönt es schrill aus dem Radio.
Wie jeden Morgen wache ich kurz nach sechs auf, gehe ins Badezimmer und betrachte mich erstmal in völliger Ruhe. Noch 55 Minuten. Ach, dann bleibt mir ja noch genug Zeit, um mir genüsslich einen runterzuholen.
Nach ausgiebiger Masturbation mit Nebentätigkeit Duschen, schaue ich wiederholt in den Spiegel. Hier und da ein paar Falten, Stoppeln und Speckröllchen. Aber dies sollte mich nicht schlechtlaunig machen, denke ich mir und spreche es auch leise aus.
Mensch, ich fange schon an, Selbstgespräche zu führen. Oder rede ich mit dem Gegenüber aus dem Spiegel? "Guten Morgen!", rief ich ihm entgegen, doch zeitgleich grüßt er auch mir.
Etwas perplex, aber dennoch gefasst, gehe ich dann auch schon aus dem Bad, hinein in mein verstaubtes, stickiges Zimmer. Es riecht nach nächtlichem Schweiß und bakterienverseuchtem Mundgeruch von letzter Nacht.
Es kommt ein mir bekanntes Würgegefühl auf, welches ich bereits durch intensive Alkoholexzesse kenne, und füllt nun meine Speiseröhre größtenteils mit Erbrechen. So schnell wie mich meine müden Beine tragen, ergreift mein Mageninhalt auch schon die Flucht hinaus Richtung Freiheit. Es muss wohl sehr beklemmend in mir sein. Wie auch immer.
Im hohen Bogen, direkt aus dem Fenster, landet die übelerregende Flüssigkeit - auf dem Asphalt. Soweit meine mit dunklen Ringen beschmückten Sehorgane und mein derzeitiger Verstand es mir erlauben beurteilen zu können, ist meine ehemalige Kotze nicht zu Schaden gekommen. Sie verließ mich ohne ein Nachgeschmack zu hinterlassen. Trotzdem bin ich heilfroh, dass sie den Sturz überlebt hat.
Nun liegt sie in der Morgensonne, expandiert und hat tausende Dates mit Fliegen, die sie umzirpsen.
Bevor ich mich im Zustand des Neids wiederfinde, drehe ich mich kurzerhand um, tue so, als ob mich die Insektenorgie kalt lässt, ziehe mich an und schließe die Haustür ab.
Mittlerweile ist es 10:37 Uhr. Ich dachte heute Morgen auch, ich ginge zur Arbeit. Irgendwie vergeht die Zeit wie im Flug, und so wie ich darüber sinniere, ist es auch schon 11:07 Uhr. Also beschließe ich einfach, dass ich wohl keine Arbeit habe.
Ich sehe Blätter im Wind tanzen, höre Vögel singen, belästige kleine Kinder, flüchte vor dessen Eltern, die mich wegen sexueller Belästigung anzeigen wollen und pinkle gegen einen Baum.
Dem Baum muss es verdammt gut gehen.
Steht erlaubt in der Gegend rum und bekommt auch noch eine Warmdusche am Nachmittag.
Ich glaube, ich werde dem Baum - aber nur diesem Baum und keinem anderen - mein Testament vermachen. Im Besitz vieler unnötiger Dinge bin ich, jedoch nicht vieler nötiger Dinge. Mein wertvollster Besitz ist zweifelsfrei mein narzisstischer Verstand, aber so einem Baum kann man ja kein Gehirn einpflanzen. Da sieht man mal wieder, wie unfortschrittlich und lahm unsere heutigen Technologien sind. Bedauerlicherweise.
Die Tatsache, dass meine Spermien in keinem Gegengeschlecht Asyl beantragen können, sondern nur im Abwasserkanal ihren Tod finden, führt mich dazu, Trübsal zu blasen.
Doch ich kann mich schnell aufrappeln und so gehe ich durch die Innenstadt.
Schnell zieht ein Typ neben mir meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich versuche, sie zu zügeln, und herunterzuspielen, doch vergebens. Darum steht ich da, betrachte ihn mir von oben bis unten, und es fällt die gemeinsame Hose auf. Auch die Art wie er geht, zieht mich in seinen Bann.
Äfft er mich nach oder warum gehe ich so scheiße?
Ohne den seltsamen Typen weiter Beachtung zu schenken, fahre ich meinen Spaziergang fort.
Bizarrerweise begegne ich auf dem Nachhauseweg zunehmend angeblichen Individuen meines Alters, Verhaltens, Stiles und vor allem Seins.
Verständlicherweise befinde ich mich jetzt im Zustand der Verwirrtheit, gepaart mit Empörtheit. Wobei das Letztere mit jedem Schritt überwiegt.
Da! Wieder so ein komischer Kauz. Nun geht er nicht nur so wie ich, er redet, atmet und guckt mit derselben Leere in den Augen wie ich. Ohne zu fragen.
Ich meine, ich hätte damals bei meiner Geburt, Patent auf mein Ich angemeldet. Scheint wohl nach 37 Jahren noch immer nicht bearbeitet zu sein, weshalb ich mich dafür entscheide, dass Patentieren zu nichts zu gebrauchen ist. Scheiß-Leute vom Scheiß-Europäischem-Patentamt-mit-Sitz-in-München!, fluche ich wutentbrannt.
Und schon reißt mich er aus meinem Kurztrip (welchen ich normalerweise nur in Trance und mit meiner Freundin, der Cannabis-Dame mache) in die Vergangenheit. Oder zumindest daraus, an was ich mich erinnern kann.
Da sehe ich mich! Ich sehe mich vor mir, hinter mir, neben mir und ich kreise mich ein. Panisch rase ich nach Hause, kram meine 14 Schlüssel aus der Hosentasche, bin verwundert, warum mir erst seit heute auffällt, dass alle 14 Schlüssel gleich aussehen, und schließe die Tür auf. Schuhe ausgezogen, mich auf dem Bett gemütlich gemacht.
Meine Lunge pfeift, und zum ersten Mal in meinem faden Leben wird mir klar, ich bin nicht einzigartig.
Ich bin ein Schlüssel meiner eigenen Tristesse, ich bin kopierbar, ich fand mich überall wieder.
Ich bin nicht einmalig und mir schießen die Tränen nur so aus den Augen.


Epilog. Oder auch Nachwort.
Ich ziehe noch meine Decke über den Kopf, plärre mich in den Schlaf und denke darüber nach, jedem zu erzählen, was ich an ihm bewundere.
Ob mich das zu einem besseren Menschen macht, weiß ich nicht. Ich weiß nun aber, dass mich meine Ehrlichkeit, meine Loslösung starrer Emotionen von anderen unterscheiden wird.
Darum werde ich vielleicht nicht einzigartig, aber schätzenswert.

"Wenn ein Schizophrener mit Selbstmord droht - ist das dann eine Geiselnahme?"

Aus dem Abgrund der Seele schreiben, in den ich nie hinabgeblickt habe.
Ein Abgrund, noch nicht mal negativ behaftet, der auf mich zurückblickt und von Zeit zu Zeit mich zu überschatten scheint.
Die absolute Wahrheit. Abgestritten, angenommen.
Ich bin meiner Selbst bewusst, die Außenwelt - abgeschirmt durch meine Lügen. Lügenhaftes Lächeln im Gesicht. Vernarbt, eingebrannt.
Was ist richtig, was falsch? - Hat nicht das Ich das zu entscheiden? Ich urteile über mich, doch scheinen die mir scheinbar vertrauten Ignoranten mich an meiner persönlichen Entfaltung abhalten zu wollen.
Gehemmt. Hemmungslos jagen sie mir Nadeln in die Venen. Injizieren mir deren Unverständnis...
Und was mir bleibt, ist die puristische Treue gegenüber mir selbst.

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"Hi!" - "Hallo."
"Wie ist dein Befinden?" - "Ach, das übliche. Stechen in der Brust, Hämmern im Kopf, Verlangen mich zu übergeben, zu kotzen, zu würgen und das alles zur gleichen Zeit."
"Oh." - "Ja. Wie gesagt, das übliche halt. Was hast du denn erwartet?"
- "Nichts. Ich war nur neugierig." - Ja, gierig nach Neuem. Und der Rest? - Perfide Ignoranz! "Achso, na dann."
Ich beendete das Gepräch. Mit mir.
Ich schaute noch ein letztes Mal in den Spiegel, starre mich an, zupfe an meinem Jacket.
"Es ist gut so wie es ist. Ich fühle mich wohl."
Ich gab mir die Hand, verabschiedete mich von mir, schloss die Tür und ging in mit mulmigem Behagen in die verachtungswürdige Welt der Egoisten.

Quelle: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/383984

Donnerstag, 9. September 2010

Gewicht!

Wieviel wiegst du? 47, 58, 76kg??

Hättest du wohl gerne, ich ziehe über dich her.
Ich weiß genau, dass du jeden Morgen aufstehst, dein erster Gedanke: Habe ich abgenommen?
Du stellst dich klangheimlich auf deinen Stimmungsmacher... mein erster Gedanke: Was sagt so ein Teil schon großartiges über die Figur aus? Du zählst Kalorien, du machst dir um nichts Sorgen, außer um deine vollschlanke Taille, du machst unbewusst beim Ramadan mit und und und...
Kann eine Zahl dein Leben etwa so gravierend verändern?
An alle Neurotiker da draußen: Eine Zahl kann euer Verstand dermaßen beeinträchtigen, und ihr lasst es auch noch verdammt zu. Ich weiß, dass ihr Minderwetigkeitskomplexe habt, und dass euer Ego angekratzt ist. Auch ist mir bewusst, dass euer Selbstwertgefühl längst am Nullpunkt angkommen ist, doch zufrieden seid ihr nimmer. Und egal, ob ihr mittlerweile auf die 30 oder auf die 27 zusteuert, ihr fühlt euch nicht wohl in eurer Haut.

"Ihr seid nicht hässlich, nein, das liegt am Spiegel,
und wer die Augen schließt, der bleibt flexibel."



Fühl' Du dich erstmal wohl, denn ich bin mir untreu gewesen.